Die Gärtnerin aus dem Wettersteingebirge (2024)

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Für Jenny Wainwright-Klein liegt das Himalaja nur eine Schubkarren-Fahrt neben Feuerland und dem tibetanischen Hochland: Die Gärtnerin ist Chefin des Alpengartens auf dem Schachen. Dort, unterhalb des Kini-Schlosses, wachsen Pflanzen aus aller Welt.

Von Carina Zimniok (Text) Und Klaus Haag (Fotos)

Jenny Wainwright-Klein, 55 Jahre alt und Gärtnerin mit Traumjob, ruckelt heute im grünen Unimog ins Paradies. Auf dem Beifahrersitz – vom Botanischen Garten in München durch Garmisch, vorbei an den Buckelwiesen von Elmau, und die letzte halbe Stunde über einen schlaglöchrigen Wanderweg.

Auf die Strecke dürfen motorisiert sonst bloß der Bierkutscher, der die Wirtschaft oben am Schachen beliefert, und E-Bike-Fahrer; der Normalsterbliche muss wandern. Aber Jenny Wainwright-Klein hat viel zu viel Zeug, das jetzt hinauf muss auf 1860 Meter. Ohne Unimog – keine Chance.

Jenny Wainwright-Klein, die auf dem Berg alle bloß Jenny nennen, ist Reviergärtnerin am Schachen, die Chefin des Alpengartens des Botanischen Gartens. Er ist einer der ältesten seiner Art, und zwar auf der ganzen Welt. Und weil die Pflänzchen internationaler sind als das Publikum im Wiesn-Zelt, und sie viel, viel Pflege brauchen, muss der Gärtner halt bei ihnen wohnen. Jeden Morgen rauf auf den Berg und am Abend wieder runter – das ist zu umständlich. Zumindest von Juni bis September, wenn der Garten für Besucher geöffnet hat. Es gibt bloß ein paar Mitarbeiter beim Botanischen Garten, die das können und wollen. Thomas Heller zum Beispiel, auch ein Münchner, der hat die letzte Drei-Wochen-Schicht gemacht, jetzt ist Jenny wieder dran, sie löst ihn heute ab. Und zieht für drei Wochen in die kleine Blockhütte unterhalb des Schachenhauses – das wiederum ist dieses hübsche Schlösschen mit Holzfassade, das sich König Ludwig II. einst mitten in die Berge hat stellen lassen, weil er eine gescheite Villa haben wollte, um seine Geburtstage zu feiern. Mit Ausblick, Pomp und Bergluft.

Jenny hat warme Kleidung eingepackt, sogar im Hochsommer bleibt es hier oben eher kühl. Bücher und Filme gegen Langeweile am Abend, sieben Stück Butter, einen Sack Zwiebeln, zwei Kisten Äpfel, eingeschweißtes Fleisch, Erde für die Pflanzen und einen Topf voller Weißwürst, gerade eben beim Metzger geholt. Das machen sie immer so, wenn der eine Gärtner und sein Teampartner die anderen zwei ablösen – erst mal Weißwurstfrühstück.

Die Reviergärtnerin tauscht ihre Münchner Wohnung gegen ein Zimmerchen mit schmalem Holzbett, ihren Ehemann gegen die Einsamkeit auf dem Berg. „Manche Kollegen denken, das ist wie a Urlaub hier oben“, sagt sie, und es ist ganz eindeutig ein bayerischer Einschlag drin in diesem Satz, obwohl sie aus Johannisburg, Südafrika kommt. Urlaub? Von wegen.

Hier oben sind schon die verrücktesten Dinge passiert. Einmal hat es so ein starkes Gewitter gehabt, dass ein Gärtner, der trotzdem nicht aufhören wollte zu arbeiten, fast vom Blitz erwischt wurde, der im Metallzaun einschlug. Als er dann doch in die Hütte flüchtete, hatte er eine Frisur wie Pumuckl – so elektrostatisch aufgeladen war die Luft. Eine Helferin hat vor vielen Jahren mal einen Putzfimmel bekommen, was eigentlich ja nicht schadet, die Gärtner machen den Haushalt in der Hütte freilich selbst. Aber diese Frau scheuerte die uralten Fensterscheiben, Originale aus dem Baujahr 1900, mit einem Metallschwamm – hinterher waren sie blind.

Ein andermal hat Thomas, er ist 50 und auch ihm langt der Vorname, eine Besucherin beim Klauen erwischt. Er war gerade beim Mittagessen in der Hütte, als ihm draußen eine Dame auffiel, weil sie so umständlich um das Edelweiß herumschlich. „Plötzlich bückte sie sich – und ging schnell weg“, erzählt er jetzt in der gemütlichen Stube, wo ein kleines Schwarz-Weiß-Bild vom Kini an der Wand hängt und Jenny die Weißwürste an Thomas, den Unimog-Fahrer und eine Handvoll Praktikanten verteilt. Sofort wusste Thomas damals, was los ist – die Dame hatte die Edelweiße geköpft. „Ich hab ihr die Stiele nachgetragen und gesagt: Sie haben da was vergessen“, erzählt Thomas. Die Diebin lief rot an, ihre ahnungslose Begleiterin war entsetzt.

Jenny, Thomas und ihre Helfer kümmern sich um Pflänzchen aus dem Himalaja, aus den Rocky Mountains, aus Lesotho, die hier, im Wettersteingebirge wachsen, als wären sie nie woanders daheim gewesen. Vielleicht gedeihen sie deshalb so prächtig: „Ich spreche nicht mit meinen Pflanzen“, sagt Jenny und schüttelt den Kopf – so ein Schmarrn. Sie schleppt lieber Bücher mit auf den Berg, in denen sie nachliest, was die exotischen Blumen brauchen.

Es ist ein besonderer Fleck Bayern hier oben. 360 Grad-Sensationsblick, zumindest, wenn grad keine dicken Wolken herumhängen. Die Alpspitze, der Hochblassen, majestätisch, schon immer da gewesen, für die Ewigkeit. Das Schloss. Das Reintal, der Garmisch-Partenkirchner Talkessel. Und als ob das nicht reichen würde, wächst hier eben auch noch die Welt-Botanik.

Ein Alpengarten – das war um 1900 rum der letzte Schrei bei den Botanikern. Damals flog nicht jeder wie selbstverständlich durch die Welt, heuer Tibet, nächstes Jahr Feuerland. Buchdruck war meist ohne Farbe, wer also einmal im Leben die blauen Blüten des Abschreckenden Scheinmohns sehen wollte, der in den Gebirgen Yunnans, Südchina, auf 3500 bis 5000 Höhenmetern wächst, musste in einen Alpengarten.

Karl von Goebel hieß damals der Chef des Münchner Botanischen Gartens, er liebte die alpine Flora. Aber in der Stadt hatten die mühsam auf Expeditionen gesammelten Pflanzen keine Chance. Also legte er die Außenstelle auf dem Schachen an. Höhe, Klima, Böden – ideal. Seither waren ganze Generationen von Gärtnern, allein von 1901 bis 2000 etwa 60, den Sommer über auf dem Schachen, manche sogar die ganze Saison. Jeden Tag schnaufen sich hunderte Besucher den Weg hinauf zum Schloss, und manche schauen sich auch noch die 1000 Pflanzen aus der Arktis, aus Vorderasien, von den Pyrenäen, dem Balkan oder dem Kaukasus an.

Über die kleinen Wegerl im Alpengarten laufen jetzt Thomas und Jenny, er erzählt ihr, was grad gut wächst, was nicht, und was in den nächsten drei Wochen zu tun ist. Dann lädt er sein Zeug auf den Unimog, ins Tal aber geht er zu Fuß. Vielleicht, weil der Abschied vom Berg dann ein bisserl weniger schmerzhaft ist. Seit 20 Jahren verbringt er seine Sommer zu einem großen Teil auf dem Schachen, oft waren er und Jenny schon zusammen oben. In einer Saison hat jeder mal fünf Kilo zugenommen – weil sie jeden Abend feines Essen gekocht haben. Auf dem Schachen geht es nicht nur ums Gärtnern, das ist Kameradschaft, eine Auszeit von der hektischen Welt unten im Tal.

Meistens geht es Thomas bei der Heimfahrt so: „In Garmisch denk ich mir schon – ich will wieder zurück“, sagt er. Der Alpengarten und die Hütte, das ist wie eine zweite Heimat, und zwar die schönere. Er sagt: „Es gibt kaum einen Stein, kaum eine Pflanze, die ich noch nicht in der Hand gehabt habe.“ Einmal hat ihn eine Besucherin angegrantelt, als er sich gerade mit dem mistigen Unkraut geplagt hat: „Des is doch koa Arbat für an Mo“, hat sie gemeckert. Thomas hat bloß gegrinst. Und weiter gegrast.

Der Alpengarten

ist bis 30.August täglich von 8 bis 17 Uhr geöffnet. Eintritt 2,50 Euro, Führungen nach Anmeldung möglich. Aufstieg vom Wanderparkplatz bei Schloss Elmau über die Wettersteinalm oder von Garmisch-Partenkirchen durch die Partnachklamm und über den Kälbersteig (Gehzeit jeweils 3 bis 3,5 Stunden, die zweite Variante ist steiler).

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